heute bis jetzt

ZEITGENÖSSISCHE FOTOGRAFIE AUS DÜSSELDORF, TEIL II

Dem Prinzip der Sammlung eignet zugleich ein fokussierter Blick auf das Einzelne wie dessen Einfügung in ein übergreifendes Ordnungssystem. Zwischen diesen beiden Polen bewegt sich die Fotografie Natascha Borowskys. Die Künstlerin inszeniert ihre Fundstücke einzeln auf bildparallelen, farbig und strukturell abgestimmten Gründen. Vorgaben wie konstanter Kamerablick, klarer Figur-Grund-Bezug, gleichmäßiges Tageslicht, durchgängige Detailschärfe sowie die Hängung der Fotos in Reihen oder Blöcken wecken den Anschein musealer Katalogisierung und sachlicher Dokumentation. Gleichzeitig verschaffen Isolierung und Vergrößerung der abgelichteten Dinge diesen eine portraithafte Präsenz, die aus der Produktwerbung vertraut scheint, dem Zeigegestus sakraler Reliquienpräsentation aber näher steht als einem gebrauchsorientierten Dingbezug. Widerstreitende Impulse steuern die Rezeption des Betrachters: Ästhetische Erscheinung ebenso wie plastische Körperlichkeit der Objekte provozieren eine besitzergreifende Aneignung durch das Auge, während die organisch wirkenden, teilweise nicht identifizierbaren Substanzen in ihrem offensichtlichen Verfallszustand gleichzeitig abstoßen. In der ästhetischen Inszenierung Natascha Borowskys gewinnen wertlose, abgenutzte und alltägliche Dinge die Ausstrahlung unantastbarer Relikte.

Während des Studiums bei Bernd Becher entstanden zunächst stark farbige Arbeiten mit frischen Blüten auf floral gemusterten Stoffen, in denen künstliche und natürliche Blumen zu korrespondierenden Mustern verwoben sind (1993). Mit den gerollten Blättern und behutsam umwickelten Stöckchen (1995) verschiebt sich dann die Farbigkeit der Bilder hin zu gedämpfteren Tönen und einer stilllebenhaften Verdichtung. Perfekten Tarnungssituationen angenähert, liegen Insekten auf Tierfellen (1997) – in filigraner Schönheit und absoluter Reglosigkeit hingestreckte Wesen – , bis man der Schimmelansätze und Nadellöcher im Leib der Tiere gewahr wird und plötzlich auch den Grund nicht mehr als gepflegten Pelz, sondern als gegerbten Balg begreift.
Die durch eine Atmosphäre von Harmonie und Stille erzeugte emotionale Aufladung schlägt um in Verunsicherung und Ekel. Während eines Kanada–Aufenthalts (1997-1998) entdeckte Natascha Borowsky in der traditionellen chinesischen Heilapotheke ein ganzes Sortiment von organischen Substanzen, die portioniert, gebündelt, gewickelt, gerollt als kostbare und fremdartige Konzentrate erscheinen. In der Serie der ‚remedies’ schweben sie scheinbar schwerelos auf gekochten Gallertgründen. Diese annähernd farblose, glatte Substanz, die das Licht zugleich absorbiert und reflektiert, erzeugt eine undefinierbare Räumlichkeit und führt zusammen mit der Fremdartigkeit der Objekte zu einem Verlust vertrauter Maßstäbe. Dadurch wirken die Dinge wie in eine andere Sphäre jenseits des Alltäglichen entrückt. Verstärkt trifft dies auch auf Arbeiten zu, in denen Figur und Grund sich farblich so angleichen, dass sie beinahe verschmelzen. Die Künstlerin bezeichnet sie als „Versuche einer Farbfotografie ohne Farbe“.
Die neueren Fotos (2001-02) bezeugen eine Rückkehr haptischer und koloristischer Qualitäten, wobei sich das Spiel mit Größenverhältnissen fortsetzt: Handelt es sich bei den schrundigen Oberflächen um angetrocknete, eingefärbte Teigmassen oder um aus großer Entfernung gesehene geologische Formationen?
Solche Fragen des wieder erkennenden Sehens bieten allerdings nur den Einstieg in Natascha Borowskys Bilder. Der spontane Impuls, Konsistenz und Oberflächenstruktur der Hintergründe, Größenverhältnisse sowie die natürliche bzw. artifizielle Provenienz der zur Schau gestellten Objekte zu entschlüsseln, tritt zurück hinter die zunehmende Entfaltung einer auratischen Zuständlichkeit. Diese visiert einen Punkt im fließenden Zeitkontinuum an, welches jedem Wesen, jedem Ding einen begrenzten Raum gewährt zwischen seinem Erscheinen und Verschwinden. Die Bilder entfalten mit ihrer Vergegenwärtigung des Einzelnen ein differenziertes Spiel von Nähe und Distanz, Wissen und Geheimnis, Anziehung und Abstoßung, Körperlichkeit und Erscheinung. Innerhalb ihrer fast minimalistisch anmutenden formalen Vorgaben geben die Fotoarbeiten Natascha Borowskys feinsten Abstufungen und Differenzierungen Raum. Damit ermöglichen sie einen im Medienzeitalter bereits verloren geglaubten Blick, der sich Zeit nimmt für behutsame Annäherung und vertiefte Betrachtung, statt gefräßig vorbeihuschende Bilderfluten aufzusaugen. Die Arbeiten bremsen die Geschwindigkeit des surfenden Blicks und ziehen ihn in eine Tiefe, deren Schichten sich am Ende als undurchdringlich und dem Aneignungsbegehren des Betrachters entzogen erweisen. Hier wird – anders als im Fall der Fotografien von Karl Blossfeldt – eine zeitgenössische künstlerische Strategie deutlich, die sich mit aktuellen Rezeptionsmustern auseinandersetzt und auf eine Ambivalenzen und Widersprüche integrierende Bilderfahrung zielt.

Dr. Gudrun Bott in dem Katalog (Schirmer/Mosel) zur Ausstellung: ’heute bis jetzt, zeitgenössische fotografie aus düsseldorf teil II’, museum kunst palast, Düsseldorf, 25.5 bis 25.8.2002